Anmerkungen zur Eröffnung am 1. Dezember 2002 von Elisabeth Kremer (Stiftung Bauhaus Dessau)
Mitteldeutsche Zeitung 6.8.2002
Zerbster Volksstimme 29. Juli 2002 „Dessauer Professorin stellt Region in den Mittelpunkt“
Volksstimme Magedeburg, 14. Juni 2002
Mitteldeutsche Zeitung, 20. Juni 2002
Bernburger Kurier, 22. Juni 2002
Köthener Zeitung, 21. Juni 2002
Anmerkungen zur Eröffnung am 1. Dezember 2002
von Elisabeth Kremer (Stiftung Bauhaus Dessau)
Westausgang zeichnet das Bild einer Region. Stadtimages, mit denen Städte sich für dem Markt präsentieren, sind heute ein gängiges Instrument des Stadtmarketings. So ist Magdeburg eine Stadt mit Zukunft, München eine Weltstadt mit Herz, Leipzig ist im Kommen und in Dessau hat die Zukunft Tradition.
Illustriert werden solche Versprechungen mit Fotos von Flugzeugen und aufstrebenden Hochhäusern. Sie symbolisieren Dynamik, Wachstum und Fortschritt. Beigefügt werden noch Bilder von sanierten Innenstädten, die die touristische Attraktivität der Stadt hervorheben. Städte suchen mit solchen Bildern Investoren, Touristen und gutqualifizierte Arbeitskräfte anzulocken und konkurrieren untereinander um diese finanzkräftigen Gruppen, da sie die kommunale Kasse auffüllen. Images sollen der Stadt eine unverwechselbare Identität verleihen, die sie von anderen Städten unterscheidet und auszeichnet, doch zumeist wiederholen sie das Immergleiche. Es wird vor allem die Zukunft beschworen und die Gegenwart nur gestreift. Was dabei verschwindet, ist die Vergangenheit und damit die gelebte Wirklichkeit der Stadt: die unterschiedlichen alltäglichen Gewohnheiten und Praktiken, das Sorgen und die Sorgen der Menschen , aber vor allem die vielfältigen Brüche, Verwerfungen und Spannungen, die das städtische Leben ausmachen.. Solche Images verschweigen mehr als sie sagen, erzeugen Tabus und Leerstellen, Orte von denen man nicht spricht und an denen man jeden Tag vorbeigeht.
Diese Brüche und Spannungen einer Region werden in der Installation Westausgang gezeigt. Die Installation erzählt davon, wie sehr die Vergangenheit in die Gegenwart hineinragt. Wie sehr sie sich nicht nur in die Erinnerungen der Menschen niedergeschlagen, sondern auch in die Orte und Steine, Räume und Gebäude eingeschrieben hat. Wenn die Schlote des Kraftwerks Vockerode gesprengt werden, verschwindet nicht nur ein mit der Deindustrialisierung funktionlos gewordenes Gebäude: ein Ort, mit dem eine Siedlung wuchs, der mit dem Braunkohletagebauen verbunden war, ein weithin sichtbares Orientierungszeichen auf dem Weg von Dessau nach Wörlitz und auf einer Sichtachse des Wörlitzer Gartens konnte man als Bild der Schlote entdecken. Entstanden ist dort nun eine Leerstelle. Vergangenheit, selbst wenn sie nicht zur Geschichte geworden ist, ist uns alltäglich präsent, da wir alltäglich damit umgehen.
Die anhaltische Region um Dessau ist eine Region mit einer wechselvollen Geschichte. Sie ist geprägt von der ungeliebten Moderne des Bauhauses und von einem kurzen industriellen Aufschwung in den zwanziger und dreißiger Jahren, von den Gewalttätigkeiten und Traumata des Faschismus und des Krieges, die anfangs noch erwartungsvollen Zeiten und zum Ende hin resignative Phase der DDR und der hoffnungsfrohe und verunsichernde Aufbruch der Wende.
Was eindringlich dargestellt wird, ist, wie bedeutsam und prägend die Zeit des Krieges für die Stadt Dessau war. Mit der Rüstungsindustrie kam es zu einem erheblichen Bevölkerungszuwachs und auch zu Stadterweiterungen, da ja Siedlungen und Kleingärten für die herangeholten Arbeitskräfte geschaffen werden mussten. Doch die Installation ist nicht eine Erzählung der Geschichte. Sie ist Teil der Materialien, aus denen in der Medieninstallation eine Gegenwart voller Spannungen und Konflikte entsteht. Es werden verschiedene narrative Stränge miteinander verflochten, Erinnerungen von Zeitzeugen und Aussagen zu den heutigen Ereignissen werden mit historischen Filmdokumenten und Aufnahmen aus dem städtischen und wirtschaftlichen Leben der Region kontrastiert. Die starke Identifikation und Verbundenheit der Bewohner der Region mit der Industrie ist in den Erzählungen und den Bildern immer präsent. Sie zeigt sich in den Risiken, dem Wagemut und den großen Anstrengungen im Chaos der Wendezeit, um den Erhalt der Betriebe, trotz der Filetierungen und Stillegungen. Und inzwischen spricht man auch schon mit Stolz von seinen Leistungen und den Potentialen der ostdeutschen Industrie. Ein andere Seite, in der sich Geschichte wiederholt und an die man nur ungern erinnert wird, ist der Ausbruch von Brutalität, der die ausländischen Mitbürger bedroht. So hat es trotz all der häufigen Wechsel von Systemen Kontinuierungen im Wandel gegeben und das Schweigen oder das Ignorieren darüber erzeugt eine Last, die lähmen kann und gerade den Weg in die Zukunft behindert. Nicht nur die Zeit des Faschismus, auch das Verhältnis zur Moderne ist ungeklärt, sie hat noch immer nicht so recht einen Platz in der Stadt Dessau gefunden.
Die Installation wurde als eine Rauminstallation konzipiert und die mediale Inszenierung wie auch die Musik wurden für eine Kirche in Köthen komponiert, wo die Installation zum ersten Mal gezeigt wurde. Die mediale Form ist nicht ortlos, sondern das Mediale wurde an den Ort gebunden, für den Ort gemacht. Dabei überlagern sich unterschiedliche mediale Ebenen mit alltäglichen Wahrnehmungsweisen und städtischen Ritualen. Es wird möglich, zu entdecken, wie sehr unsere Wahrnehmungsweisen und Gewohnheiten durchdrungen sind von medialen Formen und Bildern. Das, was wir sehen und vor allem wie wir die Dinge sehen ist nichts authentisches, sondern geprägt von medialen Bildern und Informationen. Vor allem wird deutlich wie sehr sich unsere Wahrnehmung mit den Medien verändert hat und der mediale Blick uns zur Gewohnheit wurde. Bei diesen Entdeckungen möchte ich Ihnen viel Vergnügen wünschen.