Anmerkungen zur Eröffnung am 1. Dezember 2002
   von Elisabeth Kremer (Stiftung Bauhaus Dessau)
   Mitteldeutsche Zeitung 6.8.2002
   Zerbster Volksstimme 29. Juli 2002 "Dessauer Professorin stellt Region in den Mittelpunkt"
   Volksstimme Magedeburg, 14. Juni 2002
   Mitteldeutsche Zeitung, 20. Juni 2002
   Bernburger Kurier, 22. Juni 2002
   Köthener Zeitung, 21. Juni 2002

Moderner Blick auf alte Sorgen
 

Transformation Anhalts ist in synchronisierten Bildern zu sehen
Von Thomas Altmann

Dessau/MZ. Zum Glück hat Dessau Franz oder Gropius und Junkers, sonst würde wohl so manche offizielle Rede eines Stadtvaters, die zukunftsweisend in der Vergangenheit wurzelt, reichlich verlegen daherkommen. Aber Franz ist tot und Gropius gestorben. Was bleibt ist der posthume, doppelte Adel des Weltkulturerbes. Doch weder die Stadt noch die Region können sich über zwei Leuchttürme definieren. Ein neuer Leuchtturm ist im Entstehen. Man wartet auf das Umweltbundesamt wie auf den Besuch der alten Dame. Aber wo und wie vernetzten sich die Glanzlichter mit dem Alltag?

Derweil die Dessauer Sonnenköppe in ihrer schrumpfenden Stadt resigniert glimmen, fährt so mancher im Hauptbahnhof ein, um im Brachland zu forsten. Dort ankommend beginnt auch die Videoinstallation von Angela Zumpe, Professorin für audiovisuelle Medien im Fachbereich Design der Hochschule Anhalt. Zusammen mit Studierenden hat sie einen audiovisuellen Essay geschaffen, der die Transformationsprozesse der Region Anhalt verhandelt. Seit Sonntag ist die Installation in der Marienkirche zu sehen.

Fünf Großbildprojektionen im Zusammenspiel mit einer mehrkanaligen Tonkomposition von Jessica Curry modernisieren das alte Problem einer Stadt, die spät und schnell gewachsen ist und nun gerne Großstadt wäre; einer Stadt, die nicht einmal hundert Jahre Industriestadt war und heute zu sehr vernarbt und aufgebläht ist, um Kleinstadt sein zu können.

"Westausgang - Transformation einer Region" heißt das Werk nicht deshalb, weil so viele die Stadt in Richtung Westen verlassen, sondern weil sie, die Professorin, durch den Westausgang des Bahnhofes auf den Campus geht. Ins Bild gerufen werden Aspekte der Geschichte Dessaus und der Region im letzten Jahrhundert mit Akzenten auf Wirtschaft und Kultur und einem Exkurs über das Anhaltische hinaus zur Filmfabrik Wolfen. Besonderes Augenmerk wird auf die Transformationen der jüngsten Geschichte gelegt.

Auf den fünf Projektionswänden leuchten synchrone Ereignisse nebeneinander auf. Dann wird der Blick fokussiert, um wenig später weitwinklig in Panoramen zu schweifen. So werden die Erzählebenen portioniert oder verschmolzen, dokumentarische Passagen und Interviews mit Impressionen und sphärischen Klängen untermalt. Es gibt auch kleine, ironische Pikanterien, etwa den Tanz der Nudisten. Herrlich verklingt später die Internationale. Dann wendet sich vieles. Strichmännchen visualisieren den sozialen Umbruch, Computer rücken ins Bild und die morbide, sozialistische Arbeitswelt wird eindrucksvoll gesprengt. Das Lamento junger Leute begleitet von der richtungslosen Bewegung der Drehtür im Rathauscenter klingt, als sei die Gegenwart die trübsinnigste aller Zeiten, was am Ende einer Geschichte des 20. Jahrhunderts wie purer Hohn klingen müsste und doch nicht so klingt.

Obwohl nur Eckdaten aufleuchten, wirkt die Bilderflut mit ihren Sinnesreizungen en passant wie ein Suchen und Ahnen, ein Kennenlernen. Im multimedialen Dämmerlicht wird mit Assoziationen jongliert, was ein Stück Unverfänglichkeit des Hightech-Daumenkinos kompensiert. Wenn Schornsteine fallen, fällt etwas, was früher keiner wirklich geliebt hat und nun doch schmerzlich ist, weil Menschen sich eben vornehmlich über den Arbeitsalltag definieren. Die "Transformationen" scheinen mit wenigen Ausnahmen, Löcher zu hinterlassen. Aber der Stadt bleiben die geputzten Leuchttürme, als hätte Franz, der im Film nicht vorkommt, sein klassizistisches Landhaus auf einen einsamen Acker gestellt, damit Emil Franzos hundert Jahre später als Bildungstourist im Ratskeller eine Bratwurst isst.

Installation bis 16. August, täglich von 10 bis 17 Uhr in der Marienkirche. Am 13. August, 18 Uhr, findet eine Präsentation mit anschließendem Podium unter dem Thema "Die Perspektiven der regionalen Entwicklung" statt.

(Quelle: Mitteldeutsche Zeitung 6.8.2002)